Prof. Dr. Erich Mur, Facharzt für Physikalische Medizin und allgemeine Rehabilitation, Additivfacharzt für Rheumatologie und Geriatrie ist Direktor des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation in Innsbruck. Prof. Dr. Mur hat im Interview mit uns bereits über die Bedeutung von Bewegung und Dehnen bei Rheuma sowie über Rheuma und Yoga gesprochen. Nun haben wir ihm einige Fragen rund um die Themen „Stress“, „bewusste Entspannung“ und „Meditation“ gestellt.
1. Studien zeigen: Besonders bei entzündlichen Erkrankungen spielt Stress eine große Rolle. Kann Stress im Körper Entzündungen auslösen bzw. fördern?
Hierzu muss man sagen: Stress hat immer mehrere Quellen – sei es von außen oder von innen. Normalerweise kann der Mensch ja einigermaßen gut mit Stresssituationen umgehen. Nicht aber mit anhaltendem Dauerstress – und Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Rheuma leiden nicht selten unter einem solchen Dauerstress. Ständige Entzündungen, Sorgen, Schmerzen und Einschränkungen im Alltag verursachen nunmal Stress.
Menschen, die dauerhaft gestresst sind, leiden nachweislich eher unter Erschöpfung und sind anfälliger für verschiedene Erkrankungen. Zum Beispiel das Reizdarm-Syndrom oder ein hoher Blutdruck resultieren nicht selten aus einem dauerhaften Stress. Hintergrund ist die Ausschüttung von Hormonen, wie dem Stresshormon „Cortisol“. Auch Fieberblasen sind zum Beispiel bei gestressten Personen häufiger als bei ausgeglichenen, entspannten Menschen. Und auch bei Rheuma und Autoimmunerkrankungen im Allgemeinen weiß man mittlerweile, dass der Stress ein schwächender Faktor ist. Durch ihn treten Fehlregulationen auf, was zu entsprechenden Veränderungen im Immunsystem führen kann.
2. Bewusste Stressreduktion wirkt sich folglich positiv auf Entzündungsreaktionen, Schmerzen und die körperliche und psychische Verfassung im Allgemeinen aus. Welche Veränderungen empfehlen Sie Ihren PatientInnen zur Stressreduktion?
Für mich beginnt alles mit der Analyse der Stressfaktoren. Wenn ich verstehe, wo der Hund begraben liegt, weiß ich, wo die Problemzonen sind und wo ich ansetzen muss. So berate ich auch meine PatientInnen. Ich stelle ihnen die Frage: „Was können wir aktiv ändern, damit sie besser zurechtkommen?”. Dabei rege ich sie auch dazu an, ihre Ziele und ihre Lebenseinstellung zu überdenken.
Viele Menschen spüren zum Beispiel, dass die Nachtarbeit eine große Belastung darstellt. Ist das der Fall, muss man etwas ändern. Und zwar besser früher als später. Fragen wie „Wie gesund leben sie eigentlich?” „Schlafen Sie genug?”, „Trinken Sie Alkohol, rauchen Sie?” sind hierbei wichtig. Außerdem rate ich immer dazu, sich gezielte Auszeiten zu nehmen und auch den Urlaub besser zu verteilen. Oft ist es sinnvoller, sich nicht einmal im Jahr ganz lange Urlaub zu nehmen, sondern besser zu schauen, dass man sich zwischendurch regelmäßig Entspannungs- und Ruhezeiten gönnt.
Geht es um konkrete Techniken, empfehle ich z. B. die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson. Auch autogenes Training kann hilfreich sein. Es gibt außerdem zahlreiche Atemtechniken zur Entspannung – und auch Yoga und Meditation können zielführend sein.
3. Stichwort „Meditation”: Wie wirkt sich Meditation auf das Wohlbefinden aus?
Bei Menschen, die konsequent regelmäßig meditieren, kann sich eine gewisse Gelassenheit und Zufriedenheit entwickeln. So berichten PatientInnen etwa davon, dass sie besser schlafen und dass sie ihre Schlafstörungen mithilfe der Meditation in den Griff bekommen haben. Manche Menschen merken auch, dass sie durch Meditation besser mit Ängsten, Sorgen und Schmerzen umgehen können. Zusammenfassend würde ich sagen, dass regelmäßige Meditation bei psychisch gesunden Menschen allgemein zu einer besseren Lebensqualität beitragen kann.
4. Empfiehlt sich Meditation bei rheumatischen Erkrankungen? Und kann sie bei akuten Schmerzen helfen?
Es gibt ja hunderte rheumatische Erkrankungen. Bei welcher Art die Meditation eher zu empfehlen ist, bzw. ob sie überhaupt empfehlenswert ist, ist in der europäischen, wissenschaftlich dominierten Rheumatologie umstritten. Hier kommt sie höchstens als komplementäre Maßnahme zum Zug. Deshalb würde ich Meditation sicherlich nicht anstelle einer Rheuma-Basistherapie oder einer Schmerztherapie empfehlen. So wie auch Physio- und Ergotherapie kann Meditation aber auf jeden Fall ergänzend eingesetzt werden, um Schmerzmedikamente einzusparen und das allgemeine Wohlbefinden zu steigern.
Am Schluss ist es immer eine persönliche Entscheidung, ob man sich der Meditation annähert. Das fällt sicher nicht vielen Menschen leicht. Aber wenn man es schafft und gut damit lebt, glaube ich, dass sie durchaus helfen kann, besser mit chronischen und auch akuten Schmerzen umzugehen. Doch ist diese Technik bestimmt nicht für jeden Menschen geeignet. Menschen mit psychischen Erkrankungen sollten hier zum Beispiel sehr vorsichtig sein.
5. Was fällt in die Kategorie „Meditation“? Kann es z. B. schon hilfreich sein, 15 Minuten am Tag ganz bewusst zur Ruhe zu kommen?
Ganz klar: Ja! Diese Art der Selbstbesinnung, des Reflektierens ist sehr hilfreich. Sich ganz in Ruhe Fragen wie „Was war heute los?”, „Was habe ich heute noch alles vor?” zu stellen, ist immer sinnvoll. Sich quasi für einen Moment in sich selbst und in die Umgebung zu vertiefen. Für mich persönlich ist das bereits eine Form der „Low Level Meditation”. Sich Zeit zu nehmen, sich in Ruhe hinzusetzen, über die eigene Lebenssituation nachzudenken, in die Natur hinauszuschauen – all diese Dinge kann ich auf jeden Fall jedem Menschen empfehlen. Dadurch wird man ruhiger und kann sich besser entspannen. Diese Form der Meditation ist auch sehr ungefährlich, weil es ja nur zuträglich sein kann, wenn man immer wieder innehält und seinen Stresslevel senkt. Auch die Mittagsruhe oder kurzes Powernapping zwischendurch steigern nachweislich die psychische Stabilität und Leistungsfähigkeit. Immer wieder bewusst zur Ruhe zu kommen zahlt sich also auf jeden Fall aus.
6. Wie nähert man sich am besten dem Meditieren an? Worauf sollte man dabei achten?
Wenn jetzt ein Patient/eine Patientin im Internet recherchiert, auf das Thema Meditation stößt und mich fragt, was ich davon halte, dann bin ich hier prinzipiell durchaus offen und zugänglich. Aber: Ich rate dazu, sich über die Gesamtheit der Möglichkeiten zu informieren, genau zu recherchieren, sich Zeit zu lassen und sich eine fachkundige Anleitung und/oder professionelle Begleitung zu suchen. Hierbei ist es z. B. sehr sinnvoll, Personen zusammenbringen, von denen sich die eine für Meditation interessiert und die andere diese schon länger ausführt. Personen, die sich mit der Thematik schon auskennen, können eine große Hilfe sein.
Wenn ich aber z. B. bereits weiß, dass eine Person einer psychischen Belastungssituation ausgesetzt ist oder eine psychische Erkrankung hat oder hatte, dann würde ich dazu raten, vor der Annäherung an das Thema Meditation mit dem Psychiater oder Therapeuten des Vertrauens zu sprechen. Die kennen ihre PatientInnen und wissen, was ihnen gut tut und was sie brauchen.
Hier geht’s zu Teil 1 unseres Interviews zum Thema „Bewegung und Dehnen” und zu Teil 2 zum Thema „Rheuma und Yoga”.
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Titelbild: © Maridav / AdobeStock