Prof. Dr. Erich Mur, Facharzt für Physikalische Medizin und allgemeine Rehabilitation, Additivfacharzt für Rheumatologie und Geriatrie ist Direktor des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation in Innsbruck. Prof. Mur hat mit uns im 1. Teil unseres Interviews über die Bedeutung von Bewegung bei Rheuma im Allgemeinen und Dehnen im Speziellen gesprochen.
1. Warum ist Bewegung bei rheumatischen Erkrankungen so wichtig?
Der menschliche Körper ist für Bewegung gemacht. Der Mensch ist ein „homo movens“ und kein „homo sedens“. Es geht also darum, ob man die Möglichkeiten, die naturgegeben sind nutzt oder nicht. Ganz nach dem Motto „use it or lose it“: Wenn man sich nicht ausreichend bewegt, kommt es zu zahlreichen negativen Veränderungen – wie z. B. zu Verkürzungen der Muskulatur, das Bindegewebe wird weniger dehnbar und es kommt letztlich zu einer Einschränkung der Beweglichkeit. Wenn die Beweglichkeit erstmal eingeschränkt ist und man dann doch einmal ausgreifendere Bewegungen macht, kann es wiederum zu Fehlbelastungen der Gelenke kommen.
Wenn Menschen mit Rheuma also bei ihren Bemühungen sich zu bewegen resignieren und bei Muskelverkürzungen und Co. sagen „Das ist bei mir eben so“, dann haben sie am Ende viele negativen Effekte zu bewältigen. Viele Arthrosen sind sicherlich, zumindest teilweise, auch auf diese Fehlzustände zurückzuführen. Besonders bei akut entzündlichen rheumatischen Erkrankungen müssen Betroffene daher dringend regelmäßig ihre Gelenke durchbewegen, da diese ja bereits in einem entzündeten Zustand sind. Wenn dann noch Fehlbelastungen hinzukommen, kann dies die Entzündung noch zusätzlich steigern.
2. Worauf sollten Betroffene bei körperlicher Betätigung besonders achten?
Das ist von Patient zu Patient ganz verschieden. In Hinblick auf körperliche Betätigung sollten neben der Art der rheumatischen Erkrankung (es gibt dabei ja zahlreiche verschiedene Erscheinungsformen) auch deren Stadium und Aktivität berücksichtigt werden.
Hinsichtlich des Stadiums der Erkrankung gibt es zum Beispiel Patienten, die schwer betroffen sind und bei denen bereits viele Gelenke schmerzhaft und geschwollen sind. Andere Patienten, die in eine Remission kommen und keine erkennbare Krankheitsaktivität mehr aufweisen, sind in Hinblick auf Bewegung wiederum beinahe wie gesunde Menschen zu betrachten – vorausgesetzt, es sind noch keine groben Veränderungen an den Gelenken eingetreten.
Außerdem sind bei körperlicher Betätigung auch Begleiterkrankungen zu berücksichtigen. Da spielt es eine Rolle, ob der Patient z. B. zusätzlich Asthma, eine Herzschwäche oder Ähnliches aufweist. Und auch die persönliche Einstellung des Betroffenen sowie die sportlichen Vorerfahrungen sind relevant. Da es eine riesige Bandbreite an Angeboten gibt – vom schonenden Durchbewegen bis zu intensiver Sportausübung – muss sich jeder Patient selbst irgendwo dazwischen einordnen. Eine wichtige Frage ist hierbei auch, was man mit der Bewegung erreichen will, z. B. muskuläre Defizite auszugleichen oder die körperliche Ausdauer zu verbessern. Einer der wichtigsten Punkte ist aber natürlich, dass der Patient nach der Bewegung nicht mehr Schmerzen hat als vorher.
3. Was raten Sie Ihren PatientInnen in Hinblick auf das Dehnen?
Ich würde anraten, schon morgens im Bett leichte Bettgymnastik zu machen und die kleinen Gelenke (z. B. die Hände) vorsichtig durchzubewegen – sozusagen Anlauf- bzw. Bettgymnastik auszuführen. Dann steht man viel leichter auf und hat weniger Schmerzen. Auch weil Verspannungen, die sich über Nacht aufgebaut haben, schon gelockert wurden. Zusätzlich wird auch der Kreislauf in Schwung gebracht und man startet gleich viel besser in den Tag.
Was außerdem wichtig ist: Bei einer konstant gleichen Haltung in der Arbeit (z. B. vor dem Computer) bauen sich ebenfalls Muskelverspannungen auf. Daher macht es auf jeden Fall Sinn, auch im Arbeitsalltag zwischendurch Entspannungsübungen bzw. Bürogymnastik zu machen. Es wäre sehr vernünftig, wenn das allgemein mehr Menschen täten, da dadurch ja auch die Leistungsfähigkeit deutlich steigt.
Im 2. Teil unseres Interviews sprechen wir mit Prof. Mur über die vielen positiven Effekte von Yoga auf den Körper und die Psyche und erklären, worauf Menschen mit Rheuma hierbei besonders achten sollten.
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Titelbild: © Maridav / AdobeStock