Von den diversen Begleiterscheinungen der Rheumatoiden Arthritis, die viele Betroffene täglich verspüren, ist neben den Schmerzen oft eine besonders präsent: die ständige Erschöpfung, auch Fatigue genannt. Wir haben mit OA Dr. Raimund Lunzer darüber gesprochen. Er ist Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Graz und kann uns wichtige Antworten auf unsere Fragen und Tipps zum Thema Fatigue-Syndrom mit auf den Weg geben. Im ersten Teil des Interviews beschäftigen wir uns damit, was man unter Fatigue überhaupt versteht, wie sie mit Rheuma zusammenhängt und welche Faktoren sie beeinflussen. Der zweite Teil dreht sich darum, wie man mit der Fatigue umgeht und was man dagegen unternehmen kann.
1. Was ist Fatigue eigentlich?
Die Erklärung von Fatigue umfasst viele Definitionen. Auf den Punkt gebracht kann man sagen: Sie ist ein Erschöpfungssyndrom. Typisch sind Empfindungen wie „Ich bin immer erschöpft“ oder „Ich kann nicht mehr“. Man fühlt sich durch eine bleierne Müdigkeit gelähmt und ständig abgeschlagen. Darunter leidet auch die Konzentration und so ist man durch die Fatigue oft in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt.
Grundsätzlich ist die Fatigue eine Begleiterkrankung, also eine ergänzende Krankheit, die im Rahmen der Grunderkrankung Rheuma auftreten kann. Auch bei anderen Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Krebs ist die Fatigue ein häufiger Begleiter.
2. Welche Rolle spielt die Fatigue speziell bei Rheumatoider Arthritis?
Bei den allermeisten Betroffenen wird Rheumatoide Arthritis von Fatigue begleitet. Bis zu 90 Prozent der Patienten und Patientinnen leiden unter den typischen Müdigkeitssymptomen. Dabei ist der Leidensdruck oft sehr groß: Rheuma-Betroffene würden fünf Jahre ihres Lebens geben, um Fatigue zu entgehen – dies wurde im Zuge des Deutschen Rheumatologiekongresses 2020 anhand einer Umfrage gezeigt. Die Aussage macht klar, welch große Bedeutung Menschen mit Rheuma der Fatigue beimessen und wie sehr sie sich dadurch in ihrer Lebensqualität eingeschränkt fühlen.
3. Dabei würde man annehmen, der größte Leidensdruck für Menschen mit Rheuma entsteht durch Schmerzen. Oder gibt es da einen Zusammenhang?
Die Fatigue hängt stark mit den Schmerzen zusammen: Wenn man permanent unter Schmerzen leidet, ist es nur eine Frage der Zeit bis typische Fatigue-Symptome wie Erschöpfung, depressive Verstimmung und verminderte Leistungsfähigkeit auftreten. Wer dabei schnell hilft, hilft doppelt! Wartet man zu lange, können Schmerzen nämlich chronisch werden und damit auch die Fatigue. Umfragen haben ergeben, dass die Fatigue für Patienten und Patientinnen in der Priorität auf derselben Stufe steht wie der Schmerz. Das zeigt, wie schwerwiegend sie für Betroffene sein kann und wie wichtig es ist, die Symptome ernst zu nehmen.
4. Man sollte also Fatigue-Symptome bei Rheuma im Auge behalten. Wie geschieht das?
Da es bei Fatigue um die subjektive Wahrnehmung von Beschwerden geht, greifen Ärzte und Ärztinnen oft auf Fragebogen zurück. Die Betroffenen geben darin an, wie sie die Fatigue wahrnehmen. So kann man etwa mit Fragebögen wie PROMIS, SF-36 oder FACIT gut messen, inwieweit Fatigue auftritt und dies mit dem gesamten Krankheitsgeschehen in Zusammenhang bringen.
5. Inwieweit hängt die Fatigue vom Krankheitsgeschehen ab?
Die Fatigue wird vom Schmerz beeinflusst und beides ist abhängig von der Krankheitsaktivität. Mediatoren der Entzündungen im zentralen Nervensystem dürften eine große Rolle dabei spielen, ob und wie stark die Fatigue auftritt. So können etwa sogenannte Zytokine das Entzündungsgeschehen beeinflussen. In welchem Ausmaß die Fatigue und Zytokinlevel im Gehirn, die auf Entzündungen hinweisen, sich gegenseitig beeinflussen, wird noch untersucht. Klar ist aber: Wenn man die Entzündungen eindämmt, geht es den Betroffenen besser.
6. Was kann sonst Einfluss darauf haben, ob und wie stark die Fatigue auftritt?
Da die Fatigue vom gesamten Krankheitsgeschehen abhängt, spielen viele Faktoren eine Rolle: So haben etwa Bewegung, die Qualität des Schlafes sowie psychisches Wohlbefinden einen großen Einfluss. Fatigue wird nämlich oft durch Übergewichtigkeit, Inaktivität und Schlafstörungen sowie depressive Komponenten getriggert und verstärkt. All diese Faktoren können sich stark gegenseitig beeinflussen: Wenn einen etwa Schmerzen plagen, leidet oft die Schlafqualität und das verstärkt wiederum die Fatigue. Auch hier ist die Entzündungskontrolle bedeutend! Mit den heute verfügbaren Therapien können wir neben der Entzündung und dem Schmerz auch diese Symptome inklusive Fatigue relativ gut behandeln, wenn wir rasch agieren.
7. Welche Rolle spielt das soziale Umfeld für Fatigue?
Auch psychosoziale Faktoren haben einen Einfluss auf die Fatigue. Es ist also auch bedeutsam, wie gut man sozial eingebettet ist – ob man sich etwa in die Familie integriert fühlt oder einsam ist. Leider sind Menschen mit Fatigue oft isoliert. Wenn einen Schmerzen plagen, distanziert man sich eher von anderen und häufig fehlt die Energie, Leute zu treffen. Wichtig ist aber, dass man sich bei Rheuma neben der körperlichen auch um die geistige Gesundheit kümmert und sich bemüht, trotz der Beschwerden so gut es geht seine Kontakte weiter zu pflegen.
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