OA Dr. Raimund Lunzer, Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Graz hat mit uns darüber gesprochen, was man bei Rheuma in Bezug auf akute und chronische Schmerzen beachten sollte.
1. Was ist bei der Behandlung von Schmerzen bei Rheuma zu beachten?
Besonders wichtig ist hierbei die Unterscheidung zwischen den entzündlichen Schmerzen und den degenerativen Schmerzen. Letztere entstehen durch Abnutzung, Verschleiß, sowie Alterung des Bewegungs- und Stützapparates. Hinzu kommen sogenannte „somatoforme Beschwerden“, also das wiederholte Auftreten von Schmerzen, für die keine eindeutige körperliche Ursache gefunden werden kann. All diese Schmerzbilder müssen individuell betrachtet und behandelt werden.
2. Welche Verhaltensmuster können Schmerzen verschlimmern?
Sitzen ist das neue Rauchen! Das gilt insbesondere für Menschen mit chronischen Erkrankungen, wie Rheuma. Was Bewegung betrifft muss man unbedingt auf Schulungen, professionelle Anleitungen von ExpertInnen und Motivation vonseiten der behandelnden ÄrztInnen setzen.
Beim Sport ist Folgendes zu beachten: Auch wenn Bewegung an sich bei Rheuma sehr wichtig ist, kann aggressive körperliche Belastung Schmerzen verschlimmern oder sogar auslösen. Sport ist also prinzipiell immer gut, aber eben nur mit professioneller Unterstützung. Hierbei muss auf die individuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten von Betroffenen eingegangen werden – und da kommen die PhysiotherapeutInnen ins Spiel. Ich sage meinen PatientInnen immer: „Ja, ihr müsst euch bewegen, aber bitte nicht übertreiben!“.
3. Wie kann man Schmerzen verhindern?
Das Ziel ist es, dem Schmerz bestmöglich aus dem Weg zu gehen. Oft sind bei Rheuma-PatientInnen bereits einfache Bewegungsabläufe, wie das Anziehen der Strümpfe oder das Aufsperren von Türen mit Schmerzen verbunden. Mit Ergotherapie lernt man, diese Schmerzen im Alltag zu vermeiden, bzw. besser mit ihnen umzugehen. Das können Kleinigkeiten sein, wie z. B. das Brotschneiden aus einem anderen Winkel zu probieren, als man es gewohnt ist. All diese Dinge müssen Betroffene erst erlernen. Und dafür brauchen sie Unterstützung.
Einige Rheuma-PatientInnen müssen selbst das Gehen neu erlernen. Hierbei ist zum Beispiel die Stabilität im Schuhwerk ein wichtiger Punkt. Betroffene greifen auch sehr gerne auf Walking-Stöcke zurück – aber auch diese müssen richtig eingesetzt werden. Die korrekte Anleitung für alltägliche Bewegungsabläufe und Sport ist also essentiell, um Schmerzen zu verhindern.
4. Welche Rolle spielt die Früherkennung von Rheuma in Bezug auf Schmerzen?
Das ist die alles entscheidende Frage! Je früher früher die Erkrankung erkannt wird, desto schneller kann man handeln. „T2T“ (treat to target) ist hierbei die beste Strategie. Das T2T-Konzept basiert auf dem rechtzeitigen Festsetzen eines Therapieziels und dessen regelmäßiger Überprüfung sowie (wenn nötig) dem Abändern der Behandlung. Die T2T-Strategie hat in den letzten Jahren besonders bei Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises große Erfolge in Bezug auf die Krankheitsaktivität und die allgemeine Verbesserung der Lebensqualität gezeigt.
5. Welche Rolle spielt die Psyche bei Schmerzen?
Die Psyche spielt beim Schmerz eine große Rolle. Wie groß diese Rolle sein kann, hängt von individuellen Faktoren ab. Im angloamerikanischen Raum ist ergänzende psychologische Betreuung bei rheumatischen Erkrankungen oft Bestandteil der Therapie. Auch das Schmerzgedächtnis ist hierbei zu beachten. In diesem Bereich wird momentan viel geforscht. Bei einem Punkt sind sich die ExpertInnen jedoch bereits einig: Je früher man eine Entzündung entdeckt und kontrollieren kann, desto vorteilhafter ist der Ausgang. Lange Zeit unbehandelte Schmerzzustände können zu chronischen Schmerzen und damit zu einer enormen psychischen Belastung werden.
6. Kann Bewegung Schmerzen lindern?
Physiologische, dem Krankheitszustand angepasste Bewegung und ergotherapeutische Maßnahmen zielen darauf ab, den Schmerz im Alltag nicht zu provozieren bzw. zu verhindern. So kann Sport mit falscher Technik Schmerzen auslösen, z. B. Tennis, mit seinen extremen Stop-Bewegungen. Wenn ein Rheumapatient aber leidenschaftlich gerne Tennis spielt und auch schon immer gespielt hat, dann wird es bestimmt eine Möglichkeit geben, diesen Sport unter guter Anleitung auch weiterhin zu tun.
Prinzipiell gilt: Unsere Gelenke ernähren sich über Bewegung. Stillstand führt zu einer Muskelatrophie, einer Instabilität am Gelenk. Je mehr man sich bewegt, desto stabiler und schmerzfreier ist man. Durch sportliche Betätigung gestärkte muskuläre Stabilität und besseres Gleichgewicht sind auch in Bezug auf die Sturzneigung essentiell (Stichwort: Osteoporose).
7. Welche unterstützenden Maßnahmen zur Schmerzlinderung empfehlen Sie?
Unbedingt die ergänzende Ergotherapie und regelmäßige Bewegung unter professioneller Anleitung! Was die Rehabilitations-Verfahren bei Rheuma betrifft, ist die Evidenz bekannt. Nur leider kosten diese viel Zeit. Bei Wirbelsäulen-Beschwerden empfehle ich eine rechtzeitige orthopädische Intervention – diese ist auch bei degenerativen Veränderungen sehr effektiv. Außerdem ist es wichtig, den orthopädischen Chirurgen nicht zu spät hinzuzuziehen. Durch die modernen OP-Verfahren sind mittlerweile auch an Gelenken ( z. B. am Ellenbogen) Interventionen möglich, die vor Jahren noch vollkommen undenkbar waren.
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Titelbild: © Aldeca Productions / AdobeStock