Prof. Dr. Erich Mur, Facharzt für Physikalische Medizin und allgemeine Rehabilitation, Additivfacharzt für Rheumatologie und Geriatrie ist Direktor des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation in Innsbruck. Prof. Mur hat mit uns im 2. Teil unseres Interviews über die vielen positiven Effekte von Yoga auf den Körper und die Psyche gesprochen und erklärt, worauf Menschen mit Rheuma hierbei besonders achten sollten.
1. Wie wirkt sich Yoga auf den Körper und die Psyche aus?
Yoga umfasst viele verschiedene Formen und hat unterschiedliche Komponenten, wie die körperbetonten Übungen, die ja eigentlich als Bewegungstherapie gelten könnten, Atemübungen und natürlich auch meditative Elemente. Wenn man sich die Übungen näher ansieht, dann ist das letztlich ein umfassendes Trainingskonzept für Flexibilität, Kraft, Ausdauer und Koordination – also genau das, was wir auch in der klassischen europäischen Bewegungstherapie machen. Bei beiden Bewegungsformen achtet man auch immer darauf, dass der Atem gut auf die Bewegung bzw. die Belastung abgestimmt ist. Beim Yoga ist aber der Aspekt der Selbstwahrnehmung wohl noch stärker ausgeprägt als bei unseren klassischen Bewegungsübungen.
Was mir an Yoga besonders gut gefällt ist die Tatsache, dass hier die körperliche und die psychische Ebene des Patienten sehr eng miteinander verbunden werden. Durch Yoga-Übungen kann man Sympathikus und Parasympathikus* in einen günstigen Zustand bringen. Dadurch wird Stress abgebaut, der Blutdruck gesenkt, die Konzentration verbessert und auch die Stimmung gehoben. Yoga wirkt also vielfältig positiv auf Körper und Geist, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass viele Menschen bei uns keinen rechten Zugang zur meditativen Komponente von Yoga finden, aber beispielsweise die körperbetonte Ebene sehr gut annehmen. Das muss natürlich Jeder und Jede für sich entscheiden.
Anmerkung.: * Sympathikus und Parasympathikus sind Teile des vegetativen Nervensystems. Sie werden funktionell als Gegenspieler gesehen: Der Sympathikus stellt den Organismus auf eine Aktivitätssteigerung (Aufmerksamkeit und Fluchtbereitschaft) ein, während der Parasympathikus in Ruhe- und Regenerationsphasen steigt (Herzfrequenz und Blutdruck sinken und die Verdauungsaktivität nimmt zu).
2. Warum ist Yoga vor allem für Menschen mit Rheuma hilfreich?
Nehmen wir beispielsweise eine Person mit Rückenschmerzen durch schlechte Haltung und eine ungünstige muskuläre Balance. In diesem Fall kann man sagen, dass durch Yoga-Übungen die Verspannungen gelöst werden und die Haltung verbessert wird, weil man die abgeschwächten Muskeln kräftigt und verkürzte Muskeln dehnt. Dadurch wird auch die Beweglichkeit besser und Schmerzen werden reduziert. Aber auch Patienten mit entzündlichen Erkrankungen der Wirbelsäule können von Yoga profitieren. Sie müssen die Übungen sicherlich vorsichtiger angehen, aber ich denke, dass man dann auch in diesem Fall von Yoga profitieren kann.
Außerdem wichtig: Die allgemeine Stimmungslage wird natürlich durch Schmerzen sehr ungünstig beeinflusst. Auch dem kann Yoga gut entgegenwirken. Neben der Schmerzlinderung durch die Lösung von Verspannungen und einer besseren Beweglichkeit werden Schmerzen auch durch den „Ablenkungseffekt“ weniger stark wahrgenommen. Nach dem Yoga ist man außerdem in der Regel müde und entspannt, setzt oder legt sich ein wenig hin und die Gedanken gehen auf Wanderschaft. Das könnte man auch als einen grenz-meditativen Zustand bezeichnen, der wiederum der Seele guttut.
3. Welche Yoga-Art würden Sie Rheuma-PatientInnen empfehlen?
Wenn man sich ein wenig mit Yoga befasst, merkt man gleich, dass es hier sehr viele Spielarten gibt. Einige sind sehr körperbetont und andere haben sehr stark meditativ-spirituelle Ausformungen. Das Hatha Yoga* scheint mir wohl der beste Einstieg zu sein, da hier der Körper und der Atem im Vordergrund stehen. Wenn der Patient daraus ein Bewegungskonzept entwickelt, das er auch gerne täglich durchführt, dann soll mir das als Rheumatologe nur recht sein.
Anmerkung.: *Beim „Hatha Yoga“ wird das Gleichgewicht zwischen Körper und Geist vor allem durch körperliche Übungen (Asanas), durch Atemübungen (Pranayama) und Meditation angestrebt.
4. Worauf sollten Menschen mit Rheuma bei Yoga achten?
Nehmen wir eine Patientin mit chronischer Polyarthritis, der häufigsten entzündlichen Erkrankung der Gelenke. Da gibt es einige, die sich in einem akuten Schub mit geschwollenen Gelenken und starken Schmerzen befinden – diese sind in der Bewegung sicherlich sehr viel weniger belastbar als eine Patientin, die schon seit Monaten in Remission ist, bei der die Erkrankung kaum mehr sichtbar bzw. spürbar ist. Patienten in Remission können letztlich fast normal belastet werden. Im Gegensatz dazu müssen Personen, die gerade eine hohe Krankheitsaktivität aufweisen, vor allem jene Gelenke, die gerade aktiv sind besonders schonend in ihre Übungen einbeziehen – beispielsweise ohne stärkere Druckausübung oder indem man die Bewegungen sehr langsam ausführt, um so herauszufinden, was momentan verträglich ist.
Das bringt uns auch zum Thema „Achtsamkeit“. Hierbei geht es darum, dass der Betroffene mehr darauf achtet, was im eigenen Körper vor sich geht und wie man am besten damit umgeht. Die individuelle Ausgestaltung von persönlichen und beruflichen Aktivitäten ist für die Lebensqualität sehr wichtig. Mit Gelenken, die gerade nicht schmerzen, kann man in höhere Intensitäten gehen – sind aber beispielsweise Schulter oder Hand stark betroffen, muss man darauf auch entsprechend Rücksicht nehmen.
Was außerdem beim Yoga (vor allem in der Anfangsphase) zentral wichtig erscheint, ist eine fachkundige und erfahrene Anleitung. Es ist unumgänglich, dass man sich einen guten Lehrer sucht und dann auch nicht zu schnell zu viel erreichen will, sondern sich Zeit nimmt und langsam und achtsam fortschreitet. Wird Yoga korrekt, also unter guter Anleitung und in einem vernünftigen Tempo durchgeführt, kann der Patient auf jeden Fall sehr von dieser Bewegungsform profitieren.
Hier geht’s zum 1. Teil des Interviews zum Thema „Bewegung & Dehnen“.
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Titelbild: © Maridav / AdobeStock