Immer in Bewegung bleiben: Das rät der Rheumatologe und Facharzt für Innere Medizin Dr. Wolfgang Halder Menschen mit Rheuma. Dabei haben viele aufgrund der Schmerzen eher das Bedürfnis, ihre Gelenke zu schonen. Warum das kein Widerspruch ist und wie Bewegung trotzdem gelingen kann, erklärt er uns im Interview.
1. Welche Rolle spielt die Bewegung bei Rheuma?
Ich würde sagen: Die Bewegung zählt neben der medikamentösen Therapie zu den wichtigsten Maßnahmen bei Rheuma. Denn sie trägt dazu bei, Begleiterkrankungen vorzubeugen, die im Zusammenhang mit Rheuma häufiger auftreten. So kann Bewegungstherapie etwa dabei helfen, Herzinfarkten, erhöhtem Blutdruck und Schlaganfällen entgegenzuwirken. Auch häufig auftretende psychische Belastungen wie die Fatigue oder depressive Zustände lassen sich durch regelmäßige Bewegung meist besser behandeln.
Leider vermeiden jedoch viele Rheuma-PatientInnen Bewegung eher, weil sie denken: Je weniger ich mich bewege, desto weniger Schmerzen habe ich oder desto weniger sind meine Gelenke belastet. In den meisten Fällen ist es aber ein Fehler, zu glauben, dass man durch Inaktivität die Erkrankung positiv beeinflusst. Es ist jedoch wichtig, die Art der Bewegung und die Intensität an die Krankheitsaktivität anzupassen.
2. Wovon ist es abhängig, wie intensiv sich Menschen mit Rheuma bewegen sollten?
Die Empfehlungen sind individuell unterschiedlich und von der Situation abhängig. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Einerseits kommt es auf den aktuellen Status der Erkrankung an – also etwa darauf, ob im Moment ein Schub auftritt oder Gelenkschädigungen vorhanden sind. Wenn man gerade unter einem schmerzhaften, stark geschwollenen Gelenk leidet, ist Bewegung kaum möglich, da jede zusätzliche Reizung zu einer Verschlechterung der Entzündung führt. In der Akutphase sollte man also die Gelenke bestenfalls nur ohne Belastung durchbewegen.
Andererseits ist auch wichtig, miteinzubeziehen, ob neben der rheumatoiden Arthritis auch andere Begleiterkrankungen vorliegen. So tritt etwa bei älteren Menschen häufig zusätzlich Arthrose, also eine Abnützung der Gelenke, auf. Dann sind stark belastende Sportarten tabu.
Wenn die rheumatische Erkrankung gut eingestellt ist und man keine Beschwerden hat, gilt, was für jeden gesunden Menschen auch empfohlen ist. Hier ist regelmäßige Bewegung einerseits in Form von Ausdauertraining und andererseits zum Muskelaufbau sinnvoll.
3. Also ist neben Ausdauer- auch regelmäßiges Krafttraining zu empfehlen?
Rheuma-PatientInnen schonen ihre Gelenke oft. Aber je mehr geschont wird, desto mehr Muskeln gehen verloren. Wenn sich die Muskeln zurückbilden, die das Gelenk bewegen, kommt es aber automatisch zu einer Mehrbelastung des Gelenkes. Daher ist das Krafttraining in Phasen, in denen PatientInnen nicht an einem akuten Schub leiden, ganz wichtig, um auf Dauer die Gelenke zu entlasten.
Ein weiterer Faktor, der dafür spricht, ist: Bei aktiven entzündlich rheumatischen Erkrankungen werden vermehrt Eiweißstoffe abgebaut – und das führt zu einem zusätzlichen Abbau der Muskeln. Auch hierbei kann man durch Krafttraining und Bewegung vorbeugen. Wenn zusätzlich noch Arthrose auftritt, gilt auch: Je mehr Muskeln da sind, um das Gelenk mit Arthrose zu entlasten, desto weniger Schmerzen treten auf und desto langsamer schreitet die Arthrose voran.
4. Was ist beim Erstellen eines Bewegungsplanes zu beachten?
Das Übungsprogramm muss individuell erstellt werden – abhängig davon, welche Abschnitte des Bewegungsapparates betroffen sind. Die gezielt gewählten Übungen dienen dazu, die Regionen, in denen man Probleme hat, gezielt zu mobilisieren und das Bewegungsausmaß somit zu erhalten.
Die allgemeine Empfehlung ist: zweimal pro Woche Krafttraining und zwei- bis dreimal pro Woche Ausdauertraining. Beim Krafttraining sollte man darauf achten, dass im Trainingsprogramm alle Muskelgruppen miteinbezogen werden, da es wichtig ist, den gesamten Körper zu trainieren.
5. Wo kann man sich Hilfe holen, um einen passenden Bewegungsplan auszuarbeiten?
Die besten Anlaufstellen dafür sind die Physio- und die Ergotherapie. Beide Therapieformen ergänzen sich gegenseitig: Während sich die Ergotherapie vorwiegend auf die Gelenke der Hand konzentriert, ist die Physiotherapie eher für Wirbelsäule, Hüft- und Kniegelenke zuständig. Bevor ein Trainingsplan erstellt wird, sollte die aktuelle Situation des Bewegungs- und Stützapparates sowie des Herz-Kreislauf-Systems von einem Arzt oder einer Ärztin analysiert werden. So können passende Übungen individuell zugeschnitten werden.
Es ist also wichtig, immer ärztlichen und therapeutischen Rat einzuholen, bevor man ein Trainingsprogramm zu Hause selbstständig umsetzt. Denn falsch durchgeführte Übungen oder zu starke Belastung können zu vermehrten Schmerzen oder Schäden führen. Wie jedes Medikament kann auch das Medikament „Bewegung“ bei falscher Anwendung zu „Nebenwirkungen“ führen. Wählen Sie zum gemeinsamen Erarbeiten eines Trainingsplans am besten TherapeutInnen aus, die mit rheumatoider Arthritis vertraut sind. Besonders empfehlenswert sind hierbei Kur- oder Reha-Zentren, da hier viele PatientInnen mit demselben Krankheitsbild behandelt werden und so der Erfahrungsschatz groß ist.
6. Gibt es spezielle Sportarten, die besonders empfehlenswert sind?
Prinzipiell alle Sportarten, die die Gelenke nicht übermäßig belasten. Sportarten, bei denen immer wieder die Bewegung schnell gestoppt wird wie etwa Ballsportarten, sind eher weniger gut geeignet, da dabei die Gelenke stärker belastet werden. Bei der Auswahl einer geeigneten Sportart kommt es aber individuell darauf an, welche Bereiche des Körpers von der Erkrankung betroffen sind. So wären etwa Tennis oder Golf, wo man mit viel Kraft einen Schläger halten muss, nicht empfehlenswert für Personen, bei denen die Handgelenke betroffen sind.
Zum Glück sind wir heute in der Lage, den Großteil der PatientInnen so gut zu behandeln, dass die Einschränkungen im Alltag sehr gering sind oder nur phasenweise auftreten, sodass dazwischen verschiedenste Sportarten möglich sind. Generell gut empfehlen kann ich Sportarten, die die Gelenke weniger belasten wie Radfahren, Schwimmen und Walken. Es muss auch nicht immer intensiver Sport sein: Auch flottes Spazierengehen ist eine gute Art, mehr Bewegung in den Alltag zu bringen.
7. Was können PatientInnen tun, denen es aufgrund der Schmerzen schwerfällt, in Bewegung zu bleiben?
Wenn man durch die Schmerzen im Alltag wirklich eingeschränkt ist, macht es häufig Sinn, nach ärztlicher Absprache Schmerzmittel zu nehmen, um mehr Bewegung zu ermöglichen. Leider gibt es die weitverbreitete Meinung: Bevor ich ein Schmerzmittel nehme, halte ich den Schmerz lieber aus. Aber wenn man aufgrund der Schmerzen sein Gelenk nicht bewegen kann, wird es auf Dauer möglicherweise noch weiter geschädigt. Mittlerweile gibt es auch eine Vielzahl an Schmerzmitteln, die in aller Regel gut verträglich sind.
Zusätzlich besteht bei länger anhaltenden Schmerzen die Gefahr, dass sie chronisch werden. Dann tritt der Schmerz nicht mehr nur aufgrund eines Rheumaschubes auf, sondern wird auch ohne Ursache ausgelöst, da das Nervensystem die Schmerzbahnen selbstständig aktiviert. Auch bei chronischen SchmerzpatientInnen kann regelmäßige Bewegungstherapie dabei helfen, den Schmerz zu reduzieren.
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