Prim. Univ. Prof. Dr. Peter Fasching ist Facharzt für Innere Medizin am Wilhelminenspital. Seit über 30 Jahren ist er hier im Fachgebiet der Diabetologie, sowie seit knapp 15 Jahren in der Rheumatologie tätig. Im zweiten Teil unseres Interviews zum Thema „Rheuma und Diabetes“ hat er mit uns unter anderem über das Auftreten von Co-Morbidität* Diabetes mellitus und Rheuma gesprochen und erklärt, worauf Betroffene achten sollten.
*(Eine Co-Morbidität bezeichnet eine Begleiterkrankung – also ein weiteres, diagnostisch abgrenzbares Krankheitsbild oder Syndrom, das zusätzlich zu einer Grunderkrankung, in diesem Fall Rheuma oder Diabetes, auftritt).
1. In welchen Fällen treten Diabetes und Rheuma häufig gemeinsam auf?
Kurz zusammengefasst: Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 haben statistisch gesehen kein höheres Risiko für rheumatische Erkrankungen im Allgemeinen. Adipositas (bei Diabetes mellitus Typ 2 nicht selten) erscheint jedoch beispielsweise als Risikofaktor für das Auftreten einer Psoriasis-assoziierten Arthritis. Aufgrund der Autoimmundisposition (Anfälligkeit für die Ausbildung von Autoimmunerkrankungen) haben Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 ein höheres Risiko für das Auftreten einer rheumatoiden Arthritis. Das gilt auch umgekehrt, wobei die relative Erhöhung in beide Richtungen ca. um das fünf- bis siebenache anzunehmen ist.
2. Welche Rollen spielen hierbei Alter, Geschlecht und Gewicht?
Allgemein gesehen ist das zunehmende Lebensalter sehr stark mit dem Neuauftreten von Diabetes mellitus assoziiert, in geringerem Maß auch mit dem Auftreten einer rheumatoiden Arthritis. Geschlechtsspezifische Unterschiede treten hierbei hingegen deutlich in den Hintergrund. Auch Übergewicht und assoziierte kardiovaskuläre Risikofaktoren stehen in Zusammenhang mit Gelenkerkrankungen. So wird in Studien beschrieben, dass jene PatientInnen mit schmerzhafter und entzündlicher Gelenkarthrose der Knie eher Schmerzen und geringe Lebensqualität angeben, wenn sie zusätzlich unter Diabetes mellitus Typ 2 leiden. Auch scheinen (nicht-diabetische) PatientInnen mit schmerzhafter und entzündlicher Gelenksarthrose häufiger an kardiovaskulären Erkrankungen zu sterben, als Vergleichspersonen ohne Gelenksprobleme. Hier ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass andere Einflussfaktoren diese Studienergebnisse (mit-)verursachen.
3. Welche Krankheitsbilder treten bei Co-Morbitdität Rheuma und Diabetes häufig auf?
Diabetesspezifische Gelenkserkrankungen bzw. Gelenksveränderungen betreffen etwa die sogenannte „Cheiroarthropathie“, eine Veränderung im Bereich der Finger- und Handgelenke, welche in erster Linie durch vermehrte Kollageneinlagerung und Verkürzung der Sehnen bedingt ist („Gebetshände“). Diese Sehnenveränderung ist meist mit einer langen Diabetesdauer und mit chronisch schlechter Stoffwechseleinstellung assoziiert und verläuft oft schmerzlos. Durch eine Optimierung der Diabeteseinstellung ist maximal eine Hemmung des Fortschreitens erzielbar.
Bei PatientInnen mit Diabetes mellitus wird auch das vermehrte Auftreten von „Tendinopathie“ (schmerzhafte Sehnenveränderungen) berichtet, die ebenfalls mit der Diabetesdauer und der Verdickung der schmerzhaften Sehnen korreliert. Häufig treten bei Menschen mit Diabetes mellitus außerdem schmerzhafte Schultersyndrome („frozen shoulder“) auf.
Als häufige Co-Morbidität bei Diabetes mellitus Typ 2 liegt auch eine „Hyperurikämie“ (erhöhter Harnsäuregehalt im Blut) vor, die Gichtarthritis auslösen kann und eine wichtige Differentialdiagnose bei Auftreten von akuten schmerzhaften Arthritiden ist. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass die neue Gruppe der SGLT-2-Inhibitoren (orale Antidiabetika) zu einer Absenkung des Harnsäurespiegels und zu einer Verminderung von Gichtanfällen führen kann. Als eher exotische Erkrankung, welche mit Diabetes mellitus assoziiert wird, ist der „diabetische Muskelinfarkt“ zu nennen. Dieser ist durch einen akuten Schmerzbeginn, sowie eine lokale Schwellung im Muskel verbunden mit Ruheschmerzen, gekennzeichnet. Eine eindeutige Diagnostik ist mittels MRT-Untersuchung möglich, eine kausale Therapie gibt es leider nicht.
4. Worauf sollten Menschen mit Diabetes und Rheuma besonders achten?
Stichwort Ernährung: Wir wissen mittlerweile, dass eine spezifische „Rheuma-Diät“ wissenschaftlich nicht klar belegbar ist, wobei aus Studien abzuleiten ist, dass eine entzündungshemmende Ernährungsweise (z. B. reich an Omega-3-Fettsäuren) in manchen Fällen zu einer Besserung der Entzündungsreaktionen im Körper führen kann. Zudem werden immer wieder individuelle Ernährungsformen propagiert, welche klinisch im Einzelfall zu einer deutlichen Besserung der rheumatologischen Grunderkrankung geführt haben. Leider konnten diese Empfehlungen noch nicht in ein allgemeingültiges Therapiekonzept übergeführt werden. Anders ist das bei Vorliegen eines Diabetes mellitus, wo es klare Empfehlungen für eine kohlenhydrat-adaptierte und fettreduzierte Mischkost gibt. Daher ist eine ausführliche, individuelle Ernährungsberatung bei Vorliegen eines Diabetes mellitus in jedem Fall obligat, bei Diabetes mellitus Typ 1 insbesondere auch zur exakten Berechnung des Kohlehydrat-Anteils in der Nahrung.
Bei Vorliegen eines Diabetes mellitus spielt neben der richtigen Ernährung und der medikamentösen Therapie auch die körperliche Aktivität eine entscheidende Rolle – einerseits zur Kontrolle des Stoffwechsels, andererseits zur Gesunderhaltung des Herz-Kreislaufs und der Durchblutung. Adaptierte regelmäßige körperliche Aktivität wird prinzipiell auch bei jeglicher Form einer rheumatischen Erkrankung empfohlen, wobei natürlich auf die konkrete Krankheitsaktivität Rücksicht genommen werden muss. Prinzipiell werden aber sowohl Symptome als auch die Progression der Gelenkserkrankung (z. B. bei Vorliegen einer rheumatoiden Arthritis unter adäquater medikamentöser Therapie) durch regelmäßige körperliche Aktivität und adaptierte Sportausübung verbessert.
Außerdem erwähnenswert: Lang anhaltender Stress ist prinzipiell ungesund, konkret bei Vorliegen eines Diabetes mellitus durch eine mögliche Verschlechterung des Stoffwechsels aufgrund einer chronischen Ausschüttung von Glukose erhöhenden Stresshormonen, wie Adrenalin und Kortison. Stress wirkt sich auch bei Vorliegen einer rheumatologischen Erkrankung durch möglicherweise ungünstige Beeinflussung der Entzündungsmediatoren. Dadurch verschlechtert sich die systemische Inflammation, was sich wiederum negativ auf den Zustand der Betroffenen auswirkt.
5. Kann sich eine gute Einstellung des Diabetes mellitus auch positiv auf die rheumatischen Beschwerden auswirken?
Konkrete Studien dazu, wie und in welcher Weise sich bei verschiedenen rheumatischen Erkrankungen die Erkrankungs-Aktivität und die Schmerzsymptomatik ändert, wenn die diabetische Stoffwechselkontrolle verbessert wird, sind mir nicht bekannt.
Generell gilt natürlich, dass eine Optimierung der diabetischen Stoffwechsellage und der weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren (in erster Linie Lipide, konkret „schlechtes“ LDL-Cholesterin und arterieller Blutdruck) für Menschen mit zusätzlicher rheumatischer Erkrankung von ganz entscheidender Bedeutung ist, da sowohl das Vorliegen eines Diabetes mellitus als auch das Vorliegen einer rheumatischen Erkrankung das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen, wie einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erhöht. Liegen beide Erkrankungsformen vor, kommt es natürlich zu einer entsprechenden Multiplikation des Risikos. Daher ist neben einer adäquaten medikamentösen und ganzheitlichen Betreuung beider Erkrankungsformen eine gesunde Lebensweise mit ausreichend körperlicher Aktivität und entsprechender Ernährung besonders wichtig.
Hier geht’s zu Teil 1 unseres Interviews zum Thema „Rheuma und Diabetes“, in dem Dr. Fasching mit uns unter anderem über die Entstehung von Autoimmunerkrankungen gesprochen hat und erklärt, was es bei der rheumatologischen Therapie von Co-Morbidität* Diabetes mellitus zu beachten gilt.
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